Die Gentherapie markiert einen bedeutenden Durchbruch in der Behandlung von Hämophilie. In den vergangenen zehn Jahren hat dieser Bereich signifikante Fortschritte erzielt, was zur Zulassung eines spezifischen Produkts für die Behandlung von Hämophilie B geführt hat.
Hämophilie A und B sind erbliche, X-chromosomal vererbte Blutgerinnungsstörungen, die weltweit über eine Million Menschen betreffen. Diese Erkrankungen führen zu einem Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (FVIII) oder IX (FIX). Personen mit schwerer Hämophilie leiden häufig unter spontanen Blutungsereignissen, vor allem im Bewegungsapparat. Dies äussert sich oft als Gelenkblutungen (Hämarthros), wobei wiederholte Episoden zu hämophiler Arthropathie führen können. Der damit verbundene chronische Schmerz und Gelenkschaden kann die Lebensqualität von Menschen mit Hämophilie stark beeinträchtigen.
Die Gentherapie, eine revolutionäre neue Therapie für Hämophilie
Die Gentherapie bietet eine revolutionäre neue Behandlungsoption für Hämophilie, die in den letzten zehn Jahren beachtliche Fortschritte gemacht hat. Im Vergleich zu herkömmlichen Behandlungen könnte sie eine weitgehende Unabhängigkeit von regelmässiger Ersatztherapie bei niedrigen Blutungsraten ermöglichen. Dies wird insbesondere durch den Einsatz von adeno-assoziierten Viren (AAV) als Vektoren für die Übertragung des therapeutischen Gens auf Leberzellen realisiert. Nach einer einmaligen intravenösen Verabreichung könnten Personen mit Hämophilie langfristig stabile Gerinnungsfaktorlevel erreichen, was einen bedeutenden klinischen Nutzen und eine verbesserte Lebensqualität mit sich bringt.
Allerdings wurden auch Nebenwirkungen, insbesondere leichte bis moderate Erhöhungen der Alanin-Aminotransferase (ALT), beobachtet. Diese sind zwar vorübergehend, können aber zu einer Reduktion oder dem Verlust der Transgenexpression führen. Weitere Spätfolgen können derzeit nicht ausgeschlossen werden und theoretisch durch eine Integration in das Genom verursacht werden.
Eine effektive und sichere Gentherapie erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit in den spezialisierten Hämophilie-Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese Zentren sind in einem Hub-and-Spoke-Modell organisiert und passen sich ständig den wachsenden Anforderungen an, um überall standardisierte Behandlungen zu gewährleisten. Eine elektronische Plattform für den Datenaustausch ist dabei entscheidend, um den Prozess der Gentherapie zu unterstützen, einschliesslich der Initiierung der Behandlung und der Nachsorgeüberwachung.
Zusammenfassend besitzt die Gentherapie für Hämophilie grosses Potenzial, erfordert jedoch innovative Konzepte, strukturelle Anpassungen, interdisziplinäre Zusammenarbeit und einen effizienten Datenaustausch, um die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen.
Hemgenix®, die erste Gentherapie für Hämophilie B
CSL Behring führt Hemgenix® (etranacogene dezaparvovec), die erste Gentherapie für Hämophilie B, auf dem Schweizer Markt ein. Ab Januar 2024 haben in der Schweiz lebende Personen mit Hämophilie B Zugang zu dieser innovativen Behandlung.
Hämophilie-Referenzzentrum des Inselspitals ist für diese Therapie «Hub» für die Schweiz
Das Hämophilie-Referenzzentrum des Inselspitals wird dabei als zentraler Anlaufpunkt («Hub») für diese Therapie in der Schweiz fungieren. Das Zentrum ist eines der grössten seiner Art in der Schweiz und als European Haemophilia Comprehensive Care Centre (EHCCC) anerkannt. Es versorgt rund 2000 Patientinnen und Patienten mit angeborenen Blutungsneigungserkrankungen, zu denen neben Hämophilie auch alle Typen der Von-Willebrand-Krankheit, Afibrinogenämie, Mangel an Faktor VII, X, XI oder XIII, erbliche Thrombozytenfunktionsstörungen und Thrombopenien zählen. Unter diesen befinden sich 50 Patientinnen und Patienten mit schwerer Hämophilie.
Das EHCCC des Inselspitals beteiligt sich an nationalen und internationalen Studien, was den Patientinnen und Patienten frühzeitigen Zugang zu den neuesten und fortschrittlichsten Therapieformen ermöglicht. Das «Swiss Hemophilia Network» hat entschieden, dass ab Januar 2024 das Hämophiliezentrum des Inselspitals als zentraler «Hub» in der Schweiz für die Durchführung der Gentherapie bei Hämophilie B fungieren wird.
Gentherapie für Hämophilie B: eine Team- und Netzwerk-Arbeit
Das Team der Spezialsprechstunde für Hämophilie mit Prof. Dr. med. Johanna Anna Kremer Hovinga (Leiterin EHCCC Bern Inselspital, Abteilung Erwachsene), Prof. Dr. med. Anne Angelillo-Scherrer (Klinikdirektorin und Stv. Leiterin EHCCC Bern Inselspital, Abteilung Erwachsene), Dr. med. Anna Wieland sowie das Team der Hemophilia-Nurses, Janice Delfosse, Kathleen Goedermans und Judith Sonderegger, ist für die initiale Betreuung der Patientinnen und Patienten verantwortlich.
PD Dr. med. Guido Stirnimann (Hepatologie, Inselspital) ist der Experte für Lebernebenwirkungen.
Das gesamte Team wird eng mit allen anderen Schweizer Hämophiliezentren zusammenarbeiten, um eine optimale Betreuung der Schweizer Patientinnen und Patienten zu gewährleisten, und auf internationaler Ebene nicht nur mit den deutschen und österreichischen Zentren sondern auch mit internationalen Organisationen und Registern zusammenarbeiten, um Daten zu sammeln und auszutauschen.
Publikation: Miesbach W, Oldenburg J, Klamroth R, Eichler H, Koscielny J, Holzhauer S, Holstein K, Hovinga JAK, Alberio L, Olivieri M, Knöfler R, Male C, Tiede A. Gentherapie der Hämophilie: Empfehlung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) [Gene therapy of Hemophilia: Recommendations from the German, Austrian, and Swiss Society for Thrombosis and Haemostasis Research (GTH)].
Hamostaseologie. 2023 Jun;43(3):196-207. German. doi: 10.1055/a-1957-4477. Epub 2022 Dec 14.
Erratum in: Hamostaseologie. 2022 Dec 21;: PMID: 36516966; PMCID: PMC10281774.
Insel Gruppe AG
HZL: Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor (insel.ch)
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